Diabetes: Im schlimmsten Fall droht die Amputation

Obwohl Diabetes längst eine Volkskrankheit ist – mehr als jeder Zehnte ist in Deutschland betroffen – bleibt er zu lange unerkannt. Dadurch drohen dramatische Folgeschäden. Dr. Ralf Jung, Chefarzt der Diabetologie im DGD Krankenhaus Sachsenhausen, erläutert, warum das so ist – und was hilft.

Frankfurt-Sachsenhausen. Am Dienstag, 14. November, ist Weltdiabetestag. Zu diesem Anlass erläutert Dr. Ralf Jung, Chefarzt der Diabetologie am DGD Krankenhaus Sachsenhausen in Frankfurt – der ältesten Diabetes-Fachklinik Europas –, warum die Krankheit so gefährlich ist und welche neuen Behandlungsmethoden den Patienten Hoffnung geben.

„Diabetes ist längst eine echte Volkskrankheit“, sagt der Mediziner. Denn: Gut 9 Millionen Menschen – also mehr als jeder Zehnte – leben in Deutschland mit der chronischen Stoffwechselerkrankung, deren Hauptmerkmal ein zu hoher Blutzuckerspiegel ist. Daher heißt Diabetes im Volksmund auch häufig „Zuckerkrankheit“. Dr. Ralf Jung weiß: „Es gibt noch dazu eine hohe Dunkelziffer von rund zwei Millionen Menschen, die ebenfalls Diabetiker sind – es aber noch nicht wissen.“ Die Krankheit verursacht im frühen Stadium nämlich keine Symptome und ist somit nicht zu erkennen. „Häufig wird Diabetes als Zufallsbefunde beim Hausarzt festgestellt, wenn etwa beim Routine-Check-Up eine Blutuntersuchung vorgenommen wird“, weiß Dr. Jung.

Dennoch gibt es Warnzeichen, bei denen man hellhörig werden sollte. Klassische Symptome sind zum Beispiel starker Durst, ständiger Harndrang, Übelkeit oder Schwindel. „Bei manchen wird auch das Sehvermögen schlechter, oder sie fühlen sich schlapp und müde. Doch wenn diese Symptome auftreten, ist der Blutzucker schon deutlich erhöht, die Werte liegen dann über 250 mg/dl – normal ist ein Wert zwischen 70 und 140.“ Wer also die beschriebenen Symptome feststellt, der sollte umgehend handeln und seinen aktuellen Blutzuckerwert bestimmen lassen, etwa in der Apotheke oder beim Hausarzt. Dort kann auch der Langzeitwert bestimmt werden, der Auskunft darüber gibt, wie die Blutzuckerwerte in den vergangenen drei Monaten waren. Ist die Erkrankung noch weiter fortgeschritten, können weitere Symptome hinzukommen, wie eine schlechte Wundheilung, kribbelnde oder taube Beine und Füße. Dann herrscht bereits eine ernste Gefahr.

Fehlt Insulin, bleibt der Zucker im Blutkreislauf – und schädigt die Gefäße

Doch was ist Diabetes überhaupt? Bei allen Diabetesformen geht es um das Hormon Insulin. Das benötigt der Körper, um den Zucker aus der Nahrung in die Körperzellen zu transportieren. Dort wird er in Energie umgewandelt. Ist kein Insulin vorhanden oder spricht der Körper nicht ausreichend darauf an, bleibt der Zucker im Blutkreislauf und schädigt auf Dauer die Gefäße – mit teils dramatischen Folgeerkrankungen.

„Wir unterscheiden primär zwei Hauptformen des Diabetes“, sagt der Chefarzt. Am häufigsten ist Typ-2-Diabetes, von dem mehr als 90 Prozent der Erkrankten betroffen sind. Dieser Typ wurde früher häufig als „Altersdiabetes“ bezeichnet, weil insbesondere Ältere erkrankt sind (jeder Vierte über 80). Aber mittlerweile sind auch immer mehr junge Erwachsene davon betroffen. „Bei jungen Menschen nimmt die Krankheit deshalb stetig zu, weil sich das Ernährungsverhalten stark verändert hat. Kalorienreiche Nahrung wie Fast-Food ist jederzeit verfügbar, Soft- und Energy-Drinks haben viel Zucker. Das gepaart mit einer Freizeit, die häufig mit Computer- oder Konsolenspielen oder am Handy verbracht wird – und mit wesentlich weniger Bewegung, als früher – sind eine schlechte Kombination“, sagt Dr. Jung.

Typ-2-Diabetiker müssen nicht immer Insulin spritzen

Zumindest im Anfangsstadium der Erkrankung kommen Typ-2-Diabetiker ohne das Spritzen von Insulin aus. „Eine gesunde Ernährung mit vielen Ballaststoffen, Gemüse und Salaten sowie wenig Zuckerprodukten oder Fetten helfen“, sagt der Mediziner. Zudem sollte man bei Übergewicht versuchen, wieder in den normalgewichtigen Bereich zu kommen – und die körperliche Aktivität zu steigern. 10 000 Schritte pro Tag sind laut Dr. Jung ein sehr guter Wert, der sich auch leicht mit dem Handy kontrollieren lässt. Prinzipiell gilt: „Jedes Kilo weniger hilft, um den Stoffwechsel zu verbessern und die Insulin-Resistenz zu reduzieren. Denn dann kann der Körper Insulin besser an die Muskel-, Leber- und auch Fettzellen bringen und so den Zucker besser umsetzen.“

Weitere 370.000 Menschen in Deutschland sind an Diabetes Typ 1 erkrankt. „Typ-1-Diabetes ist eine Autoimmunerkrankung, bei der der Körper Immunzellen bildet, die genau gegen die Zellen in der Bauchspeicheldrüse reagieren, die das körpereigene Hormon Insulin herstellen.“ Durch die permanente Zerstörung nimmt die Zahl dieser Zellen im Laufe der Jahre ab – es wird kein Insulin mehr hergestellt, der Blutzucker steigt stark an. „Daher müssen Menschen mit Typ-1-Diabetes immer Insulin von außen zuführen, es gibt keine andere Behandlung.“

Und was genau macht den Diabetes so gefährlich? „Das sind die Folgekrankheiten“, sagt Dr. Ralf Jung. „Der hohe Blutzucker schädigt Gefäße und Organe. So kann es in den Augen zu Netzhautveränderungen kommen, die Nieren können Schaden nehmen. Zudem werden auch die Arterien geschädigt, wodurch das Herzinfarktrisiko ebenso steigt, wie die Gefahr eines Schlaganfalls.“

Im schlimmsten Fall droht die Amputation

Weit verbreitet sind auch Nervenschäden vor allem an den Füßen, die zur Entstehung von Wunden führen können. „Damit hat jeder vierte Diabetiker im Verlauf seiner Erkrankung mindestens einmal zu tun.“ Die Nervenschäden – medizinisch: Neuropathie – führen zur Gefühllosigkeit in den Füßen. Das kann dramatische Folgen haben. Denn die Betroffenen nehmen Verletzungen an den Füßen nicht mehr wahr, „sie können sie schlichtweg nicht spüren“. Das heißt, dass sich schon durch kleine Wunden starke Entzündungen bilden können. Und durch die geschädigten Gefäße kommen weder Sauerstoff noch Nährstoffe oder Medikamente wie beispielsweise Antibiotika ausreichend an die entzündeten Stellen. Am Ende kann sogar die Amputation stehen. In Deutschland werden jedes Jahr rund 60.000 Amputationen vorgenommen. Weit mehr als die Hälfte davon – rund 40.000 – entfallen auf den diabetischen Fuß. Kommen noch weitere Risikofaktoren, wie etwa Bluthochdruck oder erhöhte Cholesterinwerte, hinzu, steigt das Risiko für Folgeerkrankungen noch einmal enorm an.

Wie lässt sich diese Amputationsgefahr minimieren? „Das Wichtigste ist, dass sich Diabetiker bei ihren Blutzuckerwerten nach Möglichkeit immer im optimalen Bereich bewegen.“ Dazu gibt es im DGD Krankenhaus Sachsenhausen ein umfassendes Konzept, bei dem viele Bereiche ineinander greifen. „Stationär gibt es zunächst die Akutstation, auf der wir starke Blutzucker-Entgleisungen ebenso behandeln, wie die Folgekrankheiten, allen voran das diabetische Fußsyndrom. Dann gibt es eine Station für strukturierte Diabetes-Therapie. Dort bieten wir für ambulant nicht adäquat eingestellte Patienten gezielte Kurse an, in denen wir sowohl Menschen mit Typ-1- als auch mit Typ-2-Diabetes einstellen und sie dann intensiv auf den häuslichen Alltag schulen, damit sie besser mit ihrer Erkrankung umgehen können.“

Hinzu kommt eine ambulante Schwerpunkt-Praxis im MVZ des Krankenhauses, in der die Patienten in der Regel jedes Vierteljahr kontrolliert werden. Außerdem ist an die Praxis eine diabetische Fuß-Ambulanz angeschlossen, die sich speziell den Patienten mit diesen schwerwiegenden Folgeproblemen widmet. „Es ist ein komplexes Krankheitsbild, an dem eine Fachdisziplin alleine scheitern würde“, sagt Dr. Jung. „Deswegen arbeiten wir hier im Team mit einer Wundexpertin, einer Diabetologin und einem orthopädischen Schuhmacher. Bei Bedarf kommen auch Orthopädietechniker zum Einsatz, die Orthesen herstellen können. Durch den Einsatz der unterschiedlichen Fachleute kann man eine hochwertige Versorgung dieser Risikopatienten gewährleisten.“

Quantensprung in der Diabetes-Behandlung

Der Chefarzt kann Diabetikern aber auch Hoffnung machen. Denn: „Wir haben in den vergangenen Jahren deutliche Fortschritte bei der Behandlung erzielt. Es gibt sehr gute, moderne Insuline zur Behandlung von Typ-1- und Typ-2-Diabetes. Außerdem gibt es neue Medikamente zur Behandlung von Typ-2-Diabetes, die sich nicht nur günstig auf den Blutzucker auswirken, sondern auch Niere und Herz besonders schützen.“

Auch bei den Hilfsmitteln gibt es Fortschritte, sie werden immer „intelligenter“. Insulin-Pens zeigen an, wann man zuletzt wie viel gespritzt hat, was eine große Hilfe gerade für vergessliche Patienten ist.

Ein Traum für Typ-1-Diabetiker ist indes die „künstliche Bauchspeicheldrüse“. Und dieser Traum „verwirklicht sich nun nahezu“, sagt Dr. Jung. „AID“ lautet das „Zauberwort“, das dafür sorgt – die Abkürzung steht für „Automated Insulin Delivery“, also die automatische Insulin-Abgabe. Die Idee, die dahinter steckt: Ein Glukosesensor im Oberarm und eine Insulinpumpe werden miteinander vernetzt, „sie können miteinander kommunizieren und setzen mittels künstlicher Intelligenz und Algorithmen einen neuen Standard in der Diabetes-Behandlung“, sagt Dr. Ralf Jung. Denn alle fünf Minuten misst das System den Blutzuckerspiegel. „Die Sensoren waren der erste Schritt zu einem leichteren Leben für die Patienten: Sie hatten ohne ,blutige Messung‘, also das Stechen in die Fingerkuppe, ihre Blutzuckerwerte immer vor Augen und mussten keine Angst mehr haben, in die Unterzuckerung zu kommen oder sehr hohe Werte zu entwickeln.“

Algorithmen sorgen für perfekte Werte

Die intelligente Verknüpfung mit der Insulinpumpe sorgt nun dafür, dass immer die zum Blutzuckerwert passende Menge an Insulin verabreicht wird – auch in der Nacht. „Somit bleibt der Patient nahezu immer im Zielbereich, der bei 110 bis 120 Milligramm Zucker pro Deziliter Blut liegt“, sagt Jung, „lediglich vor Mahlzeiten und dem Sport muss der Patient dem System einen Hinweis geben, damit dieses die Insulinversorgung richtig einstellen kann“. Der Patient müsse sich nicht mehr rund um die Uhr mit seinem Diabetes beschäftigen, sondern kann das viel stärker dem System überlassen. Damit wird ein lang gehegter Wunsch wahr: „Das System ist quasi eine künstliche Bauchspeicheldrüse. Es ist ein Quantensprung und gibt den Patienten nicht nur unglaublich viel Lebensqualität zurück – sondern auch jede Menge Sicherheit.“

Die gute Nachricht für Patienten: Die Krankenkassen übernehmen sowohl die Kosten für die Insulinpumpe als auch für die Glukose-Sensoren, sofern diese vom Arzt verordnet wurden und einige Bescheinigungen beigelegt wurden.

Geballtes Wissen am Patiententag am 19. November

Am Sonntag, 19. November, findet anlässlich des Weltdiabetestags ab 10 Uhr ein Aktionstag rund um die Volkskrankheit Diabetes im DGD Krankenhaus Sachsenhausen statt. Neben zahlreichen Fachvorträgen rund um das komplexe Problem „Diabetischer Fuß“ von der Durchblutungsverbesserung über die Schuhversorgung und Orthopädietechnik bis zu Wundversorgung und Amputation reichen die Themen. Darüber hinaus gibt es einen „Fußcheck“ mit Fußscanner ebenso, wie einen Blutzuckercheck, die Blutdruckmessung oder Infos zur kontinuierlichen Glukosemessung. Die „Physiotherapie zum Mitmachen“ lädt zur Aktivität ein, es gibt Infos rund um neueste Insulinpens und vieles mehr. Außerdem stellen sich Selbsthilfegruppen vor. Die Teilnahme ist natürlich kostenlos, eine Anmeldung ist nicht erforderlich.

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